Mit dem Beschluss vom 28. Februar 2012 verwirft der BGH die Haftbeschwerde des NSU – Mitglieds Beate Zschäpe. (NSU = Nationalsozialistischer Untergrund) Im zugrundeliegenden Haftbefehl wird ihr die Bildung einer terroristischen Vereinigung (§ 129a Abs. 1 Nr.1 StGB) sowie besonders schwere Brandstiftung (§ 306b Abs. 2 Nr.2, § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB) vorgeworfen.

Ende 1997 erhielten die Ermittlungsbehörden Hinweise darauf, daß eine von der Beschuldigte am 10. August 1996 angemietete Garage in Jena von ihr, sowie von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zur Herstellung von Sprengsätzen genutzt wurde. Böhnhardt und Mundlos nahmen eine am 26. Januar 1998 vorgenommene Durchsuchung, bei welcher funktionsfähige Rohrbomben und ca. 1,4 kg TNT gefunden wurden, zum Anlass unter Verschleierung ihrer Identität unterzutauchen. Entsprechende Haftbefehle wegen des dringenden Verdachts des Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz konnten nicht vollstreckt werden. Die Ermittlungsverfahren wurden wegen Eintritts der Strafverfolgungsverjährung eingestellt.

Nach Diskussion mit Gesinnungsgenossen über die Vorfälle in Jena, kamen Böhnhardt, Mundlos und die Beschuldigte Anfang 1998 überein, sich zu einer eigenständigen Gruppierung zusammenzuschließen und sich dabei dem gemeinsamen Ziel der Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland hin zu einem an der nationalsozialistischen Ideologie ausgerichtetem System zu verschreiben und künftig dieses Ziel mit Waffengewalt aus dem Untergrund zu verfolgen. Den Boden für einen Systemwechsel wollten sie dadurch bereiten, dass sie durch Mordanschläge auf „Feinde des deutschen Volkes“ ein Klima der Verunsicherung schaffen. Feinde des deutschen Volkes waren dabei in erster Linie türkischstämmige Einwohner und Repräsentanten der bisher herrschenden Ordnung, in erster Linie Polizeibeamte. Spätestens 2001 gaben sie sich den Namen „Nationalsozialistischer Untergrund“ und entwickelten ein Logo in Form einer besonders gestalteten Buchstabenfolge „NSU“.

Zur Verschleierung ihrer Identität und ihres Aufenthalts benutzte die Beschuldigte eine Vielzahl von Alias – Personalien, teilweise auch auf amtlichen Ausweispapieren, die sie sich durch Mitwirkung Dritter verschaffte. Zudem nutzten Böhnhardt, Mundlos und die Beschuldigte meist Wohnungen, die auf den Namen Dritter angemietet waren. Die betreffende Miete wurde per Bank-Bareinzahlung unter falschem Namen entrichtet.

Die Beschuldigte trug auch durch Erledigung logistischer Aufgaben bewusst und gewollt zur Förderung der Ziele des Nationalsozialistischen Untergrunds bei. So nahm sie 2001 bei einem Treffen mit einer weiteren Person am Bahnhof in Z. einen Reisepass entgegen, den diese weitere Person auf Verlangen „der Drei“ hatte ausstellen lassen und der für Böhnhardt bestimmt war. Auch 2011 erklärte sich diese Person, nachdem sie von Böhnhardt, Mundlos und der Beschuldigten aufgesucht wurde, bereit, sich einen Reisepass ausstellen zu lassen und ihn Böhnhardt zur Benutzung zu überlassen. Die Beschuldigte suchte mit dieser Person umgehend einen Fotografen auf, dessen Rechnung sie bezahlte und wirkte beim Passamt darauf hin, dass umgehend ein vorläufiger Reisepass ausgestellt wurde.

In Verfolgung der gemeinsamen Ziele begingen im Einzelnen nicht ermittelte Mitglieder der Gruppierung nachfolgend aufgeführte Mordanschläge gegen in der Bundesrepublik Deutschland wohnhafte Personen ausländischer Herkunft:

– Am 09. September 2000 töteten sie in Nürnberg einen türkischen Blumenhändler in seinem Verkaufsstand durch mehrere Schüsse und fertigten von ihrem Opfer ein Lichtbild.

–  Am 13. Juni 2001 töteten sie einen türkischen Staatsangehörigen in der Firmenräumen seiner Änderungsschneiderei durch zwei Kopfschüsse. Auch hiervon fertigten sie Lichtbildaufnahmen an.

–  Am 27.Juni 2001 töteten sie einen türkischen Gemüsehändler in Hamburg durch drei Kopfschüsse und fertigten Lichtbildaufnahmen an.

–  Am 29. August 2001 töteten sie einen türkischen Gemüsehändler in München durch zwei Kopfschüsse.

–  Am 25. Februar 2004 töteten sie in Rostock einen türkischen Staatsangehörigen in einer Imbissstube, wo er an diesem Tag aushalf, mit drei Kopfschüssen.

–  Am 09. Juni 2005 töteten sie einen türkischen Imbissbetreiber in Nürnberg durch Kopfschüsse.

– Am 15. Juni 2005 töteten sie in München einen griechischen Staatsangehörigen in den Räumen seines Schlüsseldienstes durch Kopfschüsse.

– Am 04. April 2006 töteten sie in Dortmund einen türkischen Kioskbetreiber durch zwei Kopfschüsse.

– Am 6. April 2006 töteten sie in Kassel einen türkischen Staatsangehörigen in einem Internet-Cafe durch zwei Kopfschüsse.

Am 25. April 2007 töteten sie  in Heilbronn die im Einsatz befindliche Polizeibeamtin Michele Kisewetter durch einen Kopfschuss, verletzten den sie begleitenden Polizeibeamten durch einen weitern Kopfschuss schwer und brachten deren Dienstwaffen und andere Polizeiausrüstung in ihren Besitz.

Spätestens im Jahre 2001 entschloss sich die Gruppierung, die begangenen Anschläge propagandistisch zur verwerten. Sie entwickelten hierzu eine etwa 15 minütige Videosequenz und fertigten hiervon etwa 50 DVD’s an, welche sie an Zeitungsredaktionen und religiöse und kulturelle Vereinigungen türkischstämmiger Personen in Deutschland verschicken wollten. Grundlage der Videosequenz war die im Internet verfügbare Comic-Serie „Paulchen Panter“, in die der Namenszug „Nationalsozialistischer Untergrund“, das Logo „NSU“, Hinweise auf die geschilderten Mordanschläge sowie die drei genannten Tatortaufnahmen eingearbeitet wurden.

Am 04. November 2011 überfielen Böhnhardt und Mundlos eine Filiale der Sparkasse in E. und erbeuteten 75.000 EUR. Hierzu verwendeten sie ein Wohnmobil, das Böhnhardt in Begleitung und mit Hilfe der Beschuldigten kurz zuvor von einem Caravanvermieter ausgeliehen hatte. Dabei gaukelten sie dem Caravanvermieter vor, es würde um einen Familienurlaub gehen. Nach dem Banküberfall flohen Böhnhardt und Mundlos mit Fahrrädern. Zeugen hatten der Polizei berichtet, sie hätten gesehen, wie zwei Männer eilig Fahrräder in ein Wohnmobil geladen hätten. Als die Polizei das Wohnmobil fand und sich diesem näherte, setzten es Böhnhardt und Mundlos in Brand und töteten sich durch Schüsse in den Kopf.

Als die Beschuldigte daraufhin vom Tod von Böhnhardt und Mundlos erfuhr, befürchtete sie, im Zuge der anstehenden Ermittlungen werde ihre Mitgliedschaft in der für die beschriebenen Taten verantwortlichen Vereinigung bekannt. Um dies zu verhindern entschloss sich die Beschuldigte, die letzte gemeinsame Wohnung, in der sich noch Gegenstände befanden, die Rückschlüsse auf ihre Identität und den Umfang ihrer Tatbeteiligung erlaubten, durch Brandlegung zu zerstören. Hierzu brachte sie einen Kanister Ottokraftstoff in die Wohnung und entzündete diesen. Daraufhin verließ sie das Gebäude. Die sich entwickelden Benzindämpfe führten zu einer Verpuffung, die große Teile des Mauerwerks zum Einsturz brachte, so dass das ganze Gebäude unbewohnbar wurde.

Am 08. November stellte sich die Beschuldigte in Jena der Polizei.

 Der dringende Tatverdacht ergibt sich bereits aus der Gesamtschau der bislang vorliegenden Beweisanzeichen der polizeilichen Ermittlungen. Die Beschuldigte wird insbesondere durch folgende Umstände belastet:

Ein weiterer Tatverdächtiger hat bei seiner Beschuldigtenvernehmung am 01. Dezember 2011 berichtet, es sei von Böhnhardt und Mundlos eine Diskussion darüber angestoßen worden, ob man nur demonstrieren oder „mehr machen“ und sich bewaffnen solle. Die Beschuldigte sei immer dabei gewesen. Die Diskussion endete mit „drei gegen zwei“. Er und ein weiterer Tatverdächtiger standen gegen „die Drei“. Desweiteren lässt sich eine enge persönliche Verbindung der Beschuldigten mit Böhnhardt und Mundlos sowie ihre Übereinstimmung mit deren Überzeugung dadurch erkennen, dass die Beschuldigte am 08. November 2011 gegenüber dem vernehmenden Polizeibeamten äußerte, man sei damals gemeinsam untergetaucht und die beiden seien fortan ihre Familie gewesen. Eine weitere am 05. Januar 2012 als Beschuldigter vernommene Person gab an, sie hatte den Eindruck, daß die Beschuldigte im Verhältnis zu Böhnhardt und Mundlos durchaus eine gleichberechtigte Stellung innehatte. So sei es ihr wichtig gewesen, dass er seinen Personalausweis zur Verfügung stellt, damit Mundlos einen auf seinen Namen lautenden Personalausweis beantragen kann. Zudem wurde ihm auch von Ihr „eingebläut“, wie er sich bei Nachfragen Dritter wegen des Aufenthalts der drei in seiner Wohnung zu verhalten habe.

Für eine enge Einbindung der Beschuldigten in den „Nationalsozialistischen Untergrund“ zusammen mit Böhnhardt und Mundlos sprechen auch die bereits dargestellten konkreten Tatbeiträge, durch die sie nicht nur die Ziele der Gruppierung gefördert, sondern auch zu erkennen gegeben hat, dass sie sich – über den Tod der anderen Mitglieder hinaus- mit deren Ideologie identifiziert. DIe Rolle der Beschuldigten bei der Beschaffung der Reisepässe sowie der Mitwirkung bei Geldgeschäften geht im Einzelnen aus den Aussagen eines weiteren Tatverdächtigen vom 25.November 2011, 01.Dezember 2011 und 12. Januar 2012 hervor. Eine Zeugin erkannte, bei einer Wahllichtbildvorlage, die Beschuldigte als Begleiterin des unter falschem Namen auftretenden Böhnhardt anlässlich der Anmietung des Wohnmobils, das für den Banküberfall benutzt wurde. Nach Ermittlungen des Bundeskriminalamtes wurden sechs der versandten DVD’s am 06. November 2011 im Briefzentrum 4 in Leipzig abgefertigt. Dies bedeutet, dass sich diese DVD’s ab dem Abend des 05.November 2011 – nach dem Tod von Böhnhard und Mundlos –  in Briefkästen in Sachsen, Sachsen – Anhalt und Thüringen befunden haben.

Es besteht vorliegend der Haftgrund der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO), da nach den Umständen nicht ausgeschlossen werden kann, dass ohne den Vollzug der Untersuchungshaft die alsbaldige Ahndung und Aufklärung der Taten gefährdet wäre. Aufgrund der gesetzlichen Strafandrohung muß die Beschuldigte mit mehrjährigem Freiheitsentzug rechnen. Auch wenn sie sich freiwillig der Polizei stellte, so besteht doch Anlass zur Besorgnis, dass sie, ausgehend von dieser hohen Straferwartung, nicht unerheblichen Fluchtanreizen nachgeben wird. Sie verfügt zudem über keine ausreichenden sozialen Bindungen, die dem entgegenwirken könnten. Die Beschuldigte ist ohne festen Wohnsitz. Zu ihrer Mutter und anderen Verwandten unterhielt sie seit ihrem Untertauchen 1998 keine Kontakte mehr. Zudem ist ihr ein Leben im Untergrund und die Verschleierung der eigenen Identität durch Verwendung falscher Personalien nicht fremd. Angesichts dessen kann der Zweck der Untersuchungshaft auch nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als deren Vollzug erreicht werden (§ 116 StPO). Der weiter Vollzug der Untersuchungshaft steht auch nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden Strafe.

Die vollständige Entscheidung ist wesentlich umfangreicher und juristisch komplexer formuliert. Die Orginalentscheidung können Sie beim jeweiligen Gericht anfordern. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.02.2012 – StB 1/12 –